text

english version – bitte scrollen für die deutsche Version

On Disappearance

A fleeting stroke, a vanishing contour, a fading memory: in her works, Katharina Poos focuses on the phenomenon of disappearance. Disappearance, not in the sense that the painterly means gradually vanish, but more in the sense of our fixed ideas about what things are, their nature and how we are accustomed to seeing them.
Her motifs – people, animals and objects – bid farewell to a world of final certainties and, as they embark on their journey into the unknown, they enter into most unusual alliances and misalliances: they seek closeness with their own kind; snuggle up to the contrary; they take mutual possession and superimpose themselves upon each other. In the end, they reveal only the slightest vestiges of what they once were, from where they originated and into what they are evolving. They are bizarre metamorphoses between meaning and sensuousness, grotesque fabrications on the threshold to abysses. They appropriate ephemeral visual spaces and freeze all references to reality by encapsulating them in a vacuum.
Consequently, these hermaphroditic entities develop a capriciously independent life of their own that conveys even the subtlest of insinuations: they traverse our thoughts and ideas with the intuitive directness of a sleepwalker, until they finally lead us into a realm of illuminated revelation. A theatre of the grotesque unfolds in this diffusion of light; it lifts the veils that so far have obstructed our vision and prevented us from immersing ourselves in any form of retrospection, introspection and understanding. Like the nutcracker and the mouse king, spirits emerge from her pictures onto the empty stage where they begin their bizarre interplay: a cat curls up into the lap of a girl, a monkey gazes out from a young boy, an octopus overpowers a young woman. Figures take command over others, faces penetrate bodies, and things come together which at first seem impossibly unrelated.
In this interplay, the fragmentary asserts itself alongside the intact within the same space. Time and again, we are confronted with arms, legs and faces that seem to reach out and appeal to us for help in a breakneck vortex of evaporation.
In her ethereal paintings, Katharina Poos develops a psychology of the unknown. She seeks underlying essences, by fading out the foreground and enabling everything else to materialise which generally defies depiction. In this way, uncanny correspondences emerge between visible and hidden images. These concealed aspects begin to actively intervene. They send out their enigmatic envoys to intermingle and accidentally populate reality.
The artist uses familial new constellations and places figures side by side in her effort to probe the distant dream worlds beyond the pleasant appearance of the pictures. In so doing, she reveals the sometimes confusing coincidences of reality and fiction, of image and action, of dream and nightmare.
Her protagonists lose themselves in the whiteness of the paper, in the unbounded dimensions of the painting grounds. No lifeguard stands poised at the edge of this tempestuous ocean of images ready to throw out the lifebelt of certainty and bring back the foundering swimmers to the safety of dry land. In fact, this world of allusions, references and symbolic abbreviations possesses a complexity and comprehensive integrity that spotlights the parts with only the slightest inference of the whole. In the series of drawings and paintings, a family of choice emerges whose genetic mutation processes seem to have gone fundamentally awry on quite a few occasions. The symbioses of disparate forms, the fusing of bodies and things – this entire amazing play with injuries, artificial limbs and fragmentations, moves at an unstoppable pace towards an invisible objective. From an enlightened and rational reality, it wins back the vital poetry that manifests itself in the realm of the transitory, in the in-between state and thus at the neuralgic demarcation line between certainty and surmise. Consequently, the artist’s images proceed step by step towards that reflective layer where the other is recognised within the self: “Now we see but a poor reflection as in a mirror; then we shall see face to face.” (1 Corinthians 13:12). It is precisely this “face to face” experience, the recognition of something higher in the everyday manifestation of the grotesque, which concerns the artist when she starts to interweave the worlds of images. The dark romanticism of many of her images faces towards the gleaming light of the present. This enables our own omnipresent images to shine more brightly – and to throw even darker shadows into the underlying space of vagueness. It is from the depths of this vagueness that the sharp beam of poetic light breaks new ground.

Ralf F. Hartmann, 2014,
Katalog Katharina Poos
Translation Ann Robertson

 

deutsche Version

Vom Verschwinden

Ein flüchtiger Strich, eine verschwindende Kontur, eine verblassende Erinnerung – Die Malerei von Katharina Poos widmet sich dem Phänomen des Verschwindens. Eines Verschwindens, das nicht die malerischen Mittel selbst sich verflüchtigen lässt, sondern vielmehr unsere fest gefügten Vorstellungen davon, was die Dinge sind, wie sie es sind und wie wir sie zu sehen gewohnt sind.

Ihre Motive – Menschen, Tiere und Gegenstände – verabschieden sich aus einer Welt letzter Gewissheiten und gehen auf ihrer Reise in jenes Verschwinden Alliancen und Mesalliancen unterschiedlichster Art ein: Sie suchen die Nähe zu Ihresgleichen, sie schmiegen sich an das Konträre, sie nehmen voneinander Besitz und überlagern sich. Und sie geben kaum noch etwas von dem preis, was sie einmal gewesen sind, woher sie kommen und wohin sie sich entwickeln werden. Es sind bizarre Metamorphosen zwischen Sinn und Sinnlichkeit, groteske Chimären am Rande des Abgründigen, die sich ephemere Bildräume aneignen und jede Referenz an Realitäten zu einem Vakuum gefrieren lassen.

Stattdessen entwickeln diese zwittrigen Wesen ein unkalkulierbares Eigenleben und bemächtigen sich des Subtilen: Sie durchkreuzen unsere Gedanken und Vorstellungen in schlafwandlerischer Geradlinigkeit, um uns letztlich hinters Licht der Aufklärung zu führen. In solch diffusem Licht beginnt ein groteskes Theater seinen Betrieb aufzunehmen und jene verschleiernden Vorhänge zu lüften, die uns den Blick zurück, nach innen und hindurch bislang verstellten. Wie Nussknacker und Mausekönig treten Geister aus ihren Bildern heraus und beginnen auf leerer Bühne ein bizarres Spiel miteinander: Aus dem Tuch einer heiligen Veronika starren uns katzenhafte Augen an, Mickey Mouse übermannt ein kleines Mädchen, die Körper einer Frau und eines Hundes verschmelzen zur Fratze. Figuren bemächtigen sich anderer, Gesichter durchdringen Körper und es findet zueinander, was zunächst nicht zueinander zu gehören scheint.

Das Fragmentarische behauptet in diesem Spiel seinen Raum neben dem Intakten und immer wieder treten uns Arme, Beine und Gesichter entgegen, so als bäten sie um unsere Hilfe in einer atemberaubenden Spirale der Verflüchtigung.

Katharina Poos entwickelt in ihren ätherischen Malereien eine Psychologie des Unbekannten. Sie sucht das Hintergründige, indem sie den Vordergrund ausblendet und all dem zur Darstellung verhilft, das sich gemeinhin dem Bild verweigert. So entstehen unheimliche Korrespondenzen zwischen sichtbaren und verborgenen Bildern. Dieses Verborgene greift ein, es entsendet sein rätselhaftes Personal, um an der Wirklichkeit zu operieren und diese unversehens zu bevölkern.

Mit familiären Neukonstellationen und dem Seit-an-Seit-Stellen von Figuren, Dingen und Geschichten sondiert die Künstlerin die entlegenen Traumwelten hinter dem schönen Schein der Bilder und offenbart so die bisweilen verwirrenden Koinzidenzen von Realität und Fiktion, von Bild und Handlung, Traum und Albtraum.

Ihre ProtagonistInnen verlieren sich in der Weiße der Zeichenblätter und in der Unbegrenztheit der Malgründe. Kein Lifeguard steht am Rande dieses tosenden Bildermeeres, um den rettenden Ring der Gewissheit auszuwerfen und die Strauchelnden und Schwimmenden wieder an das rettende Land zu holen. Vielmehr behauptet diese Welt aus Andeutungen, Verweisen und zeichenhaften Abbreviaturen eine Komplexität und umfassende Integrität, die jenseits des `pars` kaum noch nach dem `toto` fragt. In zeichnerischen und malerischen Serien wächst eine Wahlfamilie heran, deren Genetik an nicht wenigen Punkten fundamental ins Wanken geraten zu sein scheint. Jene Symbiosen disparater Formen, das Verschmelzen von Körpern und Dingen – all dies fulminante Spiel mit Versehrungen, Prothesen und Fragmentierungen führt mit ungebremster Dynamik auf einen unsichtbaren Zielpunkt hin, der einer aufgeklärten und rationalen Realität jene lebensnotwendige Poesie zurückerobert, die sich im Bereich des Transitorischen, im Zustand des Dazwischen und somit an der neuralgischen Demarkationslinie zwischen Gewissheit und Vermutung manifestiert. So avancieren die Bilder der Künstlerin Schritt für Schritt zu jener reflektierenden Fläche des Erkennens des Anderen im Eigenen: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel in einem dunkeln Wort; dann aber von Angesicht zu Angesicht“ (1. Korinther, 13). Genau um dieses „von Angesicht zu Angesicht“, um das Erkennen eines Höheren in der Alltäglichkeit der Groteske geht es der Künstlerin, wenn sie die Bildwelten miteinander zu verweben beginnt. Die dunkle Romantik vieler ihrer Bilder blickt in das gleißende Licht der Gegenwart, sie lässt unsere eigenen, omnipräsenten Bilder heller erstrahlen und wirft um so tiefere Schatten auf jenen Raum des Vagen dahinter, aus dessen Dunkel sich ein poetisches Licht Bahn bricht.

Ralf F. Hartmann, 2014,
Katalog Katharina Poos